"Quellen kritisch hinterfragen"

Unterstützt dabei, Medieninhalte reflektiert und verantwortungsbewusst zu konsumieren und zu gestalten: Alexandra Sandmann, Bildungsreferentin bei der Jugendbildungsstätte Saerbeck. Foto: Katja Niemeyer, Westfälische Nachrichten, 13.07.2024

„Viele wissen, dass sie Quellen immer wieder kritisch hinterfragen müssen“

 

Viele junge Menschen können Fakten nicht von Fake News im Internet unterscheiden. Dabei gibt es einfache Instrumente, um Inhalte auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. In sozialen Medien lauern aber noch andere Gefahren. Wie kann man sich schützen?


Die Jugendbildungsstätte Saerbeck ist dabei, ihr medienpädagogisches Seminarangebot auszubauen. Unter der Überschrift „Kompetent und reflektiert im Netz“ bietet die Einrichtung nach den Sommerferien Seminare an, in denen Jugendliche lernen, welchen Informationen und Quellen aus dem Internet sie vertrauen können. Geleitet wird es von der Bildungsreferentin und Medienpädagogin Alexandra Sandmann. Ein Gespräch über Fake News, Fakten-Checkern wie Mimikama, Challenges bei Tiktok – und den „Typen mit dem Saxophon“ bei der Fußball-Europameisterschaft.

 

Wie viel Zeit verbringen Kinder und Jugendliche heute im Durchschnitt mit Tiktok, Instagram & Co.?

Sandmann: Im Durchschnitt 220 Minuten, also mehr als dreieinhalb Stunden am Tag. Das geht aus einer Untersuchung zum Umgang 12- bis 19-Jähriger mit Medien für das Jahr 2023 hervor. Sie ist in der Studienreihe „Jugend, Information, Medien“ – kurz JIM – veröffentlicht worden. Während der Corona-Pandemie, in der unter anderem Schulen geschlossen waren, beschäftigten sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der Altersgruppe sogar täglich 250 Minuten mit sozialen Medien.

 

Wie bewerten Sie diese Zahlen?

Sandmann: Das klingt natürlich wahnsinnig viel. Heute beschäftigen sich junge Leute der Studie zufolge sogar noch länger mit ihrem Handy als vor der Pandemie. Gleichzeitig gaben 70 Prozent zu Protokoll, dass sie das Internet auch nutzen, um für die Schule zu recherchieren und zu lernen. Und trotz der intensiven Mediennutzung sind auch traditionelle Freizeitaktivitäten wie Sport treiben, Musik hören und Treffen mit Freunden nach wie vor wichtig.

 

Warum sollte man soziale Medien nicht pauschal verteufeln?

Sandmann: Über sie tauschen sich Menschen unkompliziert aus. Sie erleichtern gemeinsames Arbeiten, fördern eine kreative Selbstentfaltung und informieren.

 

Über sie lassen sich aber auch problemlos Falschnachrichten, sogenannte Fake News verbreiten.

Sandmann: Das beobachten wir schon seit Langem. Viele Kinder und Jugendliche wissen jedoch, dass sie Quellen immer wieder kritisch hinterfragen müssen.

 

Welche Instrumente stehen ihnen hierfür zur Verfügung?

Sandmann: Zum Beispiel Plattformen wie Mimikama und Correctiv. Sie haben sich schon vor mehr als zehn Jahren dem Kampf gegen Desinformation und Fake News verschrieben. Auch Whatsapp hat Kanäle zum Abonnieren, in denen man Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen kann. Correctiv.Faktencheck zum Beispiel. Mithilfe von Google kann man eine Bilderrückwärtssuche starten, um zu kontrollieren, in welchem Kontext ein Bild zuvor veröffentlicht wurde. So lassen sich manipulierte oder aus dem Zusammenhang gerissene Bilder erkennen. Gute Checklisten und Leitfäden für Eltern, Jugendliche und Lehrkräfte sind auf der Website von Klicksafe erhältlich.


Tipps zum Datenschutz

Wie kann man seine Einstellungen für einen besseren Datenschutz vor allem in Social Media verbessern? Medienpädagogin Alexandra Sandmann rät: Regelmäßig die Privatsphäre-Einstellungen überprüfen: Wer kann meine Beiträge sehen (öffentlich, Freunde, nur ich)? Wer kann mir Nachrichten senden? Wer kann meine Beiträge kommentieren oder teilen? Freundeslisten verwalten: Liste überprüfen und gegebenenfalls Gruppen erstellen, um verschiedene Inhalte mit verschiedenen Gruppen von Freunden zu teilen. Persönliche Information begrenzen: Habe ich sensible persönliche Informationen wie Telefonnummer oder Adresse privat gehalten? Teile ich permanent meinen Standort? Blockieren und Melden: Die Option zum Blockieren und Melden von unerwünschten Kontakten oder unangemessen Inhalten nutzen, um Spam und Belästigungen zu vermeiden. App-Berechtigungen: Berechtigungen von Drittanbieter-Apps überprüfen, die mit meinem Konto verbunden sind. Welche Berechtigungen haben diese Apps und sind sie alle erforderlich? Anmeldungen überwachen: Login-Historie überprüfen und sich von Geräten abmelden, man nicht mehr nutzt. Grundsätzlich, empfiehlt Sandmann, solle man möglichst datensparsam im Netz unterwegs sein.

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Aber auch wenn man soziale Medien verantwortungsvoll nutzt – welche Gefahren bergen sie?

Sandmann: Sie können abhängig machen, die Konzentrationsfähigkeit verringern, Schlafstörungen verursachen. Außerdem kann es zu einer übersteigerten Angst davor führen, wichtige Informationen und Ereignisse zu verpassen, wenn man nicht online ist. Fear of missing out, kurz FOMO, wird diese „Social Media Krankheit” auch bezeichnet. Betroffene leiden unter einem enormen psychischen Druck.

 

Kinder und Jugendliche wischen minutenlang und in Windeseile über das Display ihres Smartphones, verharren für ein paar Sekunden bei einem Video oder einem Post und arbeiten sich dann weiter durch ihren News-Feed. Was ist der Reiz dabei?

Sandmann: Die Videos sind oftmals 15 Sekunden lang. Im besten Fall sind sie unterhaltsam, manchmal auch informativ. Sie decken ein breites Interessenspektrum ab. Und sie ermöglichen es, sich rasch einen Überblick über die Aktivitäten von Freunden zu verschaffen, die meist einfach nur das Bedürfnis haben, zu zeigen, wie es ihnen geht und was sie gerade tun. Es bedarf einer guten Auffassungsgabe, um in Sekundenschnelle zu entscheiden, ob man einen Beitrag zu Ende liest oder verfolgt — oder eben wegwischt. Es besteht die Gefahr, dass sich Kinder und Jugendliche immer seltener über einen längeren Zeitraum mit einem Inhalt beschäftigen und ihre Aufmerksamkeitsspanne verkürzt wird.

 

Bei der EM wurden die Videos von einem „Typen mit dem Saxophon“, der bei deutschen Fans für Stimmung sorgte, millionenfach geklickt. Ohne Social Media wäre er wohl nie kurzzeitig zu einer Berühmtheit geworden.

Sandmann: Das ist die eine Seite der Medaille. Man bleibt kurz hängen, freut sich vielleicht.

 

Und die andere Seite der Medaille?

Sandmann: Desinformationen breiten sich im Netz rasend schnell aus. Es erleichtert den Kontakt mit gefährlichen Inhalten wie gewaltverherrlichende und pornografische Videos. Es ermöglicht Cyber-Mobbing und Aufrufe zur Hetze. Auf der Digital-Plattform Tiktok sind aktuell mehrere Jugendliche Opfer von Online-Mutproben geworden. Bei der sogenannten Blackout-Challenge, bei der man so lange die Luft anhält, bis man bewusstlos wird, sind weltweit schon einige Kinder und Jugendliche gestorben.

 

Wie können Eltern und Lehrer dem vorbeugen?

Sandmann: Indem sie immer wieder über Risiken aufklären und Medienkompetenz fördern.

 

Sind Erwachsene, was die Nutzung sozialer Medien betrifft, sogenannten digital Natives nicht in der Regel heillos unterlegen?

Sandmann: Natürlich sind Jugendliche Experten darin, ein Video zu drehen, zu schneiden und online zu stellen. Elternhaus, Schule und zum Beispiel auch wir als außerschulischer Bildungsstandort haben die Aufgabe, ihnen kritische Kompetenzen zu vermitteln und sie darin zu unterstützen, Medieninhalte reflektiert und verantwortungsbewusst zu konsumieren und zu gestalten. Jugendliche sind oftmals technisch sehr versiert. Es fehlt ihnen aber manchmal die Erfahrung und das kritische Urteilsvermögen, um die langfristigen Auswirkungen ihres Online-Verhaltens zu verstehen.

 

Wann sollten bei Erwachsenen die Alarmglocken läuten?

Sandmann: Wenn sie ein exzessives Nutzungsverhalten beobachten, sich das Kind immer mehr zurückzieht, seine Leistungen in der Schule nachlassen und es depressive Züge zeigt. Hier gilt es dann, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

 

Nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch in sozialen Medien wird zunehmend Künstliche Intelligenz eingesetzt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Sandmann: Schon lange bestimmen Algorithmen, auf denen auch Künstliche Intelligenz basiert, welche Inhalte in den Feeds sozialer Medien angezeigt werden. Sie erkennen, was mich potenziell interessieren könnte. Meine News-Feeds und Suchergebnisse werden so immer mehr personalisiert. So kann eine Filterblase entstehen. Ich bekomme hauptsächlich Angebote und Inhalte zugespielt, die mich interessieren könnten und meinen Ansichten entsprechen.

 

Andererseits macht Künstliche Intelligenz es möglich, dass im Internet Videos kursieren, die nie gefilmt wurden.

Sandmann: Und es wird zunehmend schwieriger, solche Deepfakes zu erkennen, weil sich Künstliche Intelligenz so rasant technologisch weiterentwickelt.

 

Aber generiert sie umgekehrt nicht auch Instrumente, um Deepfakes zu entlarven?

Sandmann: Absolut. Während KI auf der einen Seite die Erstellung von Deepfakes erleichtert, entwickelt sie geleichzeitig immer bessere Werkzeuge zur Erkennung und Entlarvung gefälschter Inhalte. Unternehmen und Forschende arbeiten intensiv daran, KI-gestützte Tools zu entwickeln, die anhand von Unregelmäßigkeiten und spezifischen Merkmalen, Deepfakes identifizieren können. Hier wird dann zum Beispiel die Bewegung von Lippen und Gesichtsmuskeln, die Bild- und Tonqualität analysiert, um dann einen Hinweis auf Manipulation zu finden. Ein paar dieser Technologien sind bereits in sozialen Medien integriert, um verdächtige Inhalte zu kennzeichnen oder gar zu entfernen. Bei aller Technologie ist es wichtig, dass wir als Nutzer weiterhin wachsam bleiben und uns eine kritische Medienkompetenz aneignen.

 

Katja Niemeyer

WN, 13.07.2024